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Seltsame Erscheinungen

Diese Geschichte ist aus dem Buch „Rauhnächte“ von Harald Krassnitzer

Als Sigfús Jónsson seine Probstei in Höfði innehatte, war Jónas, der Sohn von Pfarrer Jón auf þönglabakki (der dort jung seinen beiden Söhnen weggestorben war), als Pflegekind bei ihm. Sigfús hatte diesen Jónas also mitsamt den Schafen, die er geerbt hatte, bei sich aufgenommen.

Es geschah eines Weihnachtsabends oder an einem Silvester. Jónas, damals schon fast zwanzig, gut gereift und kräftig gewachsen, wurde von Sigfús, der dem Alkohol zuneigte, nach Grenivík gesandt (dem Höfði am nächsten gelegenen Hof). Er bat ihn, aus Grenivík Branntwein zu holen, ein Fässchen voll, denn dort wurde er aufbewahrt. Von Jónas’ Gang wird nichts berichtet, bis dieser wieder den Heimweg antrat.

Der Weg führt am Meer entlang in den Eyjafjörður. Plötzlich meinte Jónas einen Mann zu sehen, der vom Strand heraufkam und ihn verfolgte. Aber als Jónas an eine Schlucht gelangte, die Grenjagil heißt und aus der ein Fluss fließt, meinte er, dass da weiter oben vier Männer mit einem Schlitten führen und ihnen ein Hund folgte und hörte sein lautes Bellen.

Jónas setzt seinen Weg fort, er überwindet die Schlucht, bevor ihm die Männer entgegenkommen. Aber als er es auf die andere Seite geschafft hat, bleibt er stehen und wirft den Männern einen Gruß zu, laut und deutlich, aber sie erwidern ihn nicht und sehen ihn auch nicht an.

Das kommt ihm seltsam vor und er bekommt es mit der Angst zu tun. Er geht weiter, dreht sich vorsichtig um, aber sieht nichts und da nimmt die Beklemmung zu, obwohl er sonst unerschrocken war und keine Angst vor der Dunkelheit hatte.

Der Mond war im Zunehmen und sandte seinen schwachen Schein, doch zuweilen verdeckten ihn die Wolken. Den anderen Mann meint er deutlich hinter sich zu erkennen, er ist ihm immer noch auf den Fersen. Jónas hastet voran. Aber als er an die Schären kommt, die vor Höfði liegen, sieht er noch einen Mann vom Meer heraufgehen. Er meint zu sehen, dass dieser auf dem Rücken eine Butte trägt oder eine Heutrage, er kommt direkt auf ihn zu.

Von all dem bekommt er furchtbare Angst, er geht immer schneller, bis er nach Hause in die Nähe des Stalls kommt, der vor dem Hofgebäude von Höfði liegt. Der Hof war nicht verschlossen und er stürzt ins Haus. Da lässt Jónas den Sack mit dem Fässchen auf den Boden fallen und das Licht in der Stube kommt ihm wie ein roter Feuerball vor.

Als ihn der Probst anblickte, sprach dieser: »Um Gottes Willen, was ist mit deinen Augen geschehen, Jónas? Wie furchtbar sie aussehen; es ist, als hättest du einen Menschen umgebracht oder wärest auf der Flucht vor Unfrieden.«

Jónas antwortet nicht, geht sofort zu seinem Bett, wirft sich hinein und grübelt darüber nach, was sich da ereignet hat. Einige Zeit später erzählt er davon, sagt aber, dass er keine Ahnung habe, wer ihm da begegnet sei.

Auf dem nächsten Hof lebte eine steinalte Frau mit unerschöpflichem Gedächtnis und großem Wissen und kurz nach diesem Ereignis ging Jónas zu ihr. Er erzählte ihr die Geschichte und bat sie, ihm zu sagen, was dies alles zu bedeuten habe. Da berichtete sie, dass in ihrer Jugend einmal vier Männer, jeweils zwei davon Brüder, mit einem Schlitten und einem Hund aus den Fjorden auf die Leirdalsheide hinaufgezogen seien. Dort hätten sie sich in einem Schneesturm verirrt und seien in der Schlucht umgekommen, die er auf seinem Weg gequert habe.

Danach sagt ihm die Alte, dass vor vielen Jahren ein Knecht nach Grenivík gekommen sei und begonnen habe, ihr nachzustellen. Doch sie habe ihn mit harten Worten abgewiesen. Da sei er in Rage geraten und habe sich von einem Felsen ins Meer gestürzt, genau da, wo er den Mann gesehen habe, und man sei dort seiner oft gewahr geworden.

Dann sagte sie ihm, dass man vor fast zwanzig Jahren einen herumziehenden Mann namens Ivar draußen bei den Schären oberhalf von Höfði mit einer Heutrage oder einem Korb auf dem Rücken leblos aufgefunden habe. Ein einjähriges Mädchen, seine Tochter Guðrún, lag in dem Korb. Sie zeigte noch Lebenszeichen, und mittlerweile sei sie erwachsen und eine verheiratete Frau.

Jónas berichtete später, er sei danach noch oft den Weg am Meer entlanggegangen und nie mehr habe er seltsame Erscheinungen gehabt. Doch in der Christnacht oder zu Silvester habe er sich von da an niemals mehr hinausgewagt.

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Dumm-Maras Verwandlung

Diese Geschichte ist aus dem Buch „Rauhnächte“ von Harald Krassnitzer

Es war einmal ein Mädchen, das hieß Marie. Sie war sehr traurig, da ihr Bruder gestorben war, den sie sehr geliebt hatte. Ihr Vater war meist auf Reisen, ihre Mutter war schon lange tot und ihre Stiefmutter eine hartherzige Frau. Die Stiefmutter hieß ebenfalls Marie, und deshalb rief sie die kleine Marie nur Dumm-Mara.

So geschah es denn an einem kalten Wintertag, dass die Stiefmutter überlegte, wie sie der kleinen Marie eine schwere Aufgabe geben konnte. »Dumm-Mara!«, rief sie. »Geh, wasch die Kleider, damit sie für den Kirchgang sauber sind. Es ist kein Wasser im Haus. Du musst zum Brunnen.«

»Aber der Brunnen ist doch zugefroren«, sagte Marie.

»Komm mir nicht mit Ausreden, sonst wird es dir schlecht gehen!«, antwortete die Stiefmutter.

Also ging Marie mit der Wäsche zum Brunnen. Sie hatte ein schlechtes Gewissen, denn sie wusste wohl, dass man an den Rauhnachttagen nicht waschen soll – und wie sollte sie das auch tun, wo doch der Brunnen zugefroren war? So saß Marie am Brunnen und weinte.

Da brach das Eis, und aus der Tiefe des Brunnens kam ein warmer Hauch. Marie blickte in den Brunnen und sah eine golden glänzende Leiter, die in die Tiefe führte. Marie zögerte, doch dann fasste sie sich ein Herz und stieg hinab.

Als sie unten am Brunnengrund angekommen war, war dort ein kleines Bächlein, das munter plätscherte. Es floss durch ein kleines Tor, und dahinter war eine blühende Sommerwiese. Marie staunte und folgte dem Fluss des Bächleins. Den Korb mit Wäsche hatte sie noch auf dem Rücken. Sie nahm ihn ab und begann, die Kleider im Bächlein zu waschen. Da trat eine Frau auf sie zu, die war groß und strahlend, wie eine Königin.

»Kind, weißt du nicht, dass du in der Zeit der Rauhnächte nicht waschen darfst? Das ärgert die Frau Holle.«

Marie wurde rot und verneigte sich. »Verzeiht mir, Herrin. Ich weiß es wohl, doch meine Stiefmutter hat es mir befohlen.«

Die Dame sah Marie streng an. »Noch dazu wäschst du in meinem Bach. Auch das ist nicht erlaubt. Nun musst du bei mir bleiben und mir dienen.«

Marie dachte sich, dass es nicht schlimmer sein konnte als bei ihrer Stiefmutter, und so neigte sie den Kopf und folgte der Dame in ein großes Haus. Dort gab es viel zu tun: Zu putzen, zu kochen, zu spülen, zu backen und die Betten zu machen. Nur das Ausschütteln der Betten wollte die Herrin selbst tun: »Wenn ich die Betten schüttle, schneit es auf der Erde!«, sagte sie.

Marie tat fleißig alles, was ihr geheißen wurde, und die Herrin gewann sie lieb. Abends am Feuer erzählte sie Marie von Geheimnissen und wilden Dingen, auch von den Unterirdischen und den Himmlischen. Sosehr sich Marie auch bemühte, sich die Geschichten zu merken, so waren sie doch wie Träume, an die sich die Gefühle wohl erinnern, aber nicht die Gedanken.

Manchmal kamen wilde Reiter, und die Herrin ritt mit ihnen aus. Marie hütete dann das Haus, und da sie alles in Ordnung hielt, lobte sie die Herrin. Eines Tages sprach sie: »Marie, du hast mir gut gedient, und ich würde dich gern bei mir behalten, doch das geht nicht. Bevor du mich aber verlässt, will ich dir noch ein Geschenk machen. Tritt durch die Tür, die du bisher nicht öffnen durftest, mein liebes Kind.« Sie strich Marie zart über den Kopf, und Marie fühlte sich, als hätte ein Engel sie geküsst. »Denk an das, was dir am liebsten ist.«

Marie tat, wie ihr geheißen. Sie öffnete die Tür und trat in einen Garten, der war noch wunderbarer als alles, was sie bisher gesehen hatte. Jemand rief sie beim Namen, und ihr Herz machte einen Satz: Das war Johannes, ihr Bruder! Sie hatte sich gewünscht, ihn noch einmal wiederzusehen, und nun war er hier.

Die Geschwister fielen sich in die Arme, und Marie sah, dass ihr Bruder nicht mehr schwach und krank war, wie zu der Zeit, als er von ihr gegangen war – er sah stark und gesund aus, und aus ihm strahlte ein inneres Leuchten.

Als es dämmerte, verabschiedete sich ihr Bruder. »Hab keine Angst, Marie. Mir geht es so gut hier – und eines Tages wirst du wiederkommen und bei mir bleiben. Bis es so weit ist, werde ich immer über dich wachen und sehen, dass es dir gut ergeht!«

Marie weinte ein wenig, aber nicht sehr, denn die Worte des Bruders hatten sie sehr getröstet. Johannes nahm sie bei der Hand, führte sie zu einem Tor und gab ihr einen Abschiedskuss.

Als Marie durch das Tor trat, wurde es mit einem Mal ganz kalt, und sie stand vor dem zugefrorenen Brunnen. Ihr Korb mit der gewaschenen Wäsche stand auch dort, und zwischen den Kleidern funkelten Gold und Juwelen. Eilig sprang Marie nach Hause. Was würde wohl die Stiefmutter sagen – Marie war doch lange Zeit fort gewesen.

Doch die Stiefmutter wunderte sich gar nicht darüber, denn in der Welt außerhalb des Brunnens war nur eine Stunde vergangen. Sie wollte Marie schon ausschelten, da sah sie, dass nicht nur die Wäsche gewaschen war, sondern wie neu aussah – und dass der Korb voller wertvoller Edelsteine und Gold war.

»Ja, Dumm-Mara, wie hast du das gemacht?«, fragte sie und versuchte freundlich zu sein. Marie erzählte ihr alles.

Ohne weitere Worte zu verlieren, raffte die Stiefmutter alte, schmutzige Kleider zusammen und lief aus dem Haus, zum Brunnen. Aber der war zugefroren. Wütend schlug sie mit einem Stein auf das Eis, bis es brach. Tatsächlich: Da war kein Wasser, aber eine rostige Leiter. Sie stieg hinab und kam an das Bächlein am Grunde des Brunnens.

Sie folgte dem Bächlein ein Stück und begann, die schmutzigen, alten Kleider in den Bach zu halten. Da kam die Herrin und sah sie zornig an. Doch die Stiefmutter tat, als wäre sie ganz unterwürfig und gehorsam – und auch sie wurde zu dem großen Haus geführt, in dem sie dienen sollte. Doch sie wollte nicht dienen, sondern war begierig nach dem Gold und den Edelsteinen und tat, was ihr aufgetragen ward, nur halbherzig und widerwillig. Immer wieder versuchte sie, die Tür zu öffnen, die ihr die Herrin verboten hatte.

So dauerte es nur wenige Tage, bis die Herrin zu ihr sagte: »Du hast mir genug gedient. Gehe durch die Tür, durch die du immer gehen wolltest. Sie ist nun offen. Denke an das, was du dir wünschst – und du wirst deinen Lohn erhalten.«

Ohne weitere Worte wandte sich die Stiefmutter um und öffnete die Tür. Doch da war kein zauberhafter Garten, sondern ein düsterer Sumpf, in dem Feuer loderten und unheimliche Geister sie mit roten Augen anstarrten.

Viele Tage irrte die Stiefmutter umher, bis sie an ein Tor kam. Dort stand die Herrin, doch zweimal so groß wie zuvor.

»Wisse, Elende, dass ich die Frau Holle bin, die Herrin der Unterwelt. Dein schlechtes Herz hat sich seinen Lohn geholt. Und nun hinaus mit dir!«

Das Tor sprang auf, und die Stiefmutter wurde wie von der Hand eines Riesen hinausgeschleudert. Mit zerzaustem Haar, zerrissenen Kleidern und einem Korb voll schmutziger Wäsche stand sie wieder vor dem zugefrorenen Brunnen. Langsam ging sie nach Hause.

Doch ihr Herz war nicht ganz böse, sonst wäre sie nicht so leicht davongekommen. Von Stund an hieß sie die kleine Marie nie mehr Dumm-Mara, sondern nur das Goldmariechen, und behandelte sie wie ihr eigenes Kind. Und im Laufe der Zeit gewannen sich die beiden sogar lieb.

Marie aber lebte lange und glücklich, und immer, wenn sie doch einmal traurig wurde, dachte sie an Frau Holle und an Johannes, ihren Bruder, der immer über sie wachte und den sie eines Tages wiedersehen würde.

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Glück oder Unglück – wer weiss das schon?

Im alten China lebte einst ein armer alter Bauer, dessen einziger Besitz ein wundervoller weißer Hengst war, Selbst der Kaiser träumte davon, dieses Pferd zu besitzen. Er bot dem Alten Säcke voller Gold und Diamanten, doch der Alte schüttelte beharrlich den Kopf und sagte: „Mir fehlt es an nichts. Der Schimmel dient mir seit vielen Jahren und ist mir zum Freund geworden.

Und einen Freund verkauft man nicht; nicht für alles Geld der Welt. Und so zogen die Gesandten des Kaisers unverrichteter Dinge wieder ab.

Die Dorfbewohner lachten über so viel Unvernunft. Wie konnte der Alte bloß wegen eines Pferdes soviel Reichtum und Glück ausschlagen ?

Eines Morgens war das Pferd verschwunden. Die Dorfbewohner liefen aufgeregt vor dem leeren Stall zusammen, um das Unglück des alten Bauers zu beklagen. „sag selbst, Alter, hat sich deine Treue gelohnt? Du könntest ein reicher Mann sein, wenn du nicht so eigensinnig gewesen wärst. Jetzt bist du ärmer als zuvor. Kein Pferd zum Arbeiten und kein Geld zum Leben, Ach, das Unglück hat dich schwer getroffen.“

Der alte Bauer blickte bedächtig in die Runde, nickte nachdenklich und sagte: „Was redet ihr da ? Das Pferd steht nicht mehr im Stall, das ist alles, was ich sehe. Vielleicht ist es ein Unglück, vielleicht auch nicht. Wer weiß das schon so genau?“ Tuschelns gingen die Leute auseinander. Der Alte musste durch den Schaden wirr im Kopf geworden sein, anders ließen sich seine Worte nicht erklären.

Einige Tage später, es war ein warmer, sonniger Frühlingstag und das halbe Dorf arbeitete in den Feldern, stürmte der vermisste Schimmel laut wiehernd die Dorfstrasse entlang. Die Sonne glänzte auf seinem Fell, und die Mähne und Schweif flatterten wie feinste Silberfäden im Wind. Es war ein herrlicher Anblick, wie er voller Kraft und Anmut dahergaloppierte.

Doch das war es nicht allein, was die Dörfler erstaunt die Augen aufreißen ließ. Noch mehr Staunen riefen die sechs wilden Stuten hervor, die hinter dem Hengst hertrabten und ihm in die offene Koppel neben dem leeren Stall folgten.

„O du Glücklicher, von den Göttern gesegneter Mann! Jetzt hast du sieben Pferde und bist doch noch zum reichen Mann geworden. Bald wird Nachwuchs deine Weiden füllen. Wer hätte gedacht, dass dir noch einmal soviel Glück beschieden wäre?“ riefen sie, während sie dem alten Mann zu seinem unverhofften Reichtum gratulierten.

Der Alte schaute gelassen in die aufgeregte Menge und erwiderte: „Ihr geht zu weit. Sagt einfach: Jetzt hat er sieben Pferde. Ob das Glück oder Unglück bringt, niemand weiß es zu sagen.

Wir sehen immer nur Bruchstücke, wie will man da das Ganze beurteilen. Das Leben ist so unendlich vielfältig und überraschend.“

Verständnislos hörten ihm die Leute zu. Die Gelassenheit des Alten war einfach unbegreiflich. Andererseits war er schon immer etwas komisch gewesen. Na ja, sie hatten andere Sorgen.

Der alte Bauer hatte einen einzigen Sohn. In den folgenden Wochen begann er die Wildpferde zu zähmen und einzureiten. Er war ein ungeduldiger, junger Mann,und so setzte er sich schon früh auf eine der wilden Stuten. Dabei stürzte er so unglücklich vom Pferd, dass er sich beide Beine mehrmals brach. Obwohl die Heilerin ihr Bestes tat, war allen klar, dass seine Beine nie wieder ganz gesund werden würden. Für den Rest seines Lebens würde er ein hinkender, behinderter Mann bleiben.

Wieder versammelten sich die Leute vor dem Haus des Alten. „O du armer, alter Mann!“ jammerten sie, „nun entpuppt sich dein Glück als großes Unglück, dein einziger Sohn, die Stütze deines Alters, ist nun ein hilfloser Krüppel  und kann dir keine Hilfe mehr sein. Wer wird dich ernähren und die Arbeit tun, wenn du keine Kraft mehr hast? Wie hart muss dir das Schicksal erscheinen, das dir solches Unglück beschert.“

Wieder schaute der Alte in die Runde und antwortete: „Ihr seid vom Urteilen besessen und malt die Welt entweder schwarz oder weiß. Habt ihr noch immer nicht begriffen, dass wir nur Bruchstücke des Lebens wahrnehmen. Das Leben zeigt sich uns nur in winzigen Ausschnitten, doch ihr tut, als könntet ihr das Ganze beurteilen. Tatsache ist, mein Sohn hat beide Beine gebrochen und wird nie wieder so laufen können, wie vorher. Lasst es damit genug sein. Glück oder Unglück, wer weiß das schon.“

Nicht lange danach, brach ein Krieg aus. Das ganze Dorf war von Wehklagen und Trauer erfüllt, denn alle wussten, dass die meisten Männer nicht mehr heimkehren würden.

Wieder einmal liefen die Dorfbewohner vor dem Haus des alten Bauern zusammen.: „Wie recht du hattest. Jetzt bringt dein Sohn dir doch noch Glück.

Der Alte schaute nachdenklich in die verstörten Gesichter der Leute.“Könnte ich euch nur helfen, weiter und tiefer zu sehen, als ihr es bisher vermögt. Wie durch ein Schlüssellloch betrachtet ihr euer Leben, und doch glaubt ihr, das Ganze zu sehen. Niemand von uns weiß, wie sich das große Bild zusammensetzt. Was eben noch ein großes Unglück scheint, mag sich im nächsten Moment in Glück erweisen.

Anderseits erweist sich scheinbares Unglück auf längere Sicht oft als Glück und umgekehrt gilt das gleiche.  Sagt einfach: Unsere Männer ziehen in den Krieg, und dein Sohn bleibt zu Hause. Was daraus wird, weiß keiner von uns. Und jetzt geht nach Hause, und teilt die Zeit miteinander, die euch bleibt.

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Die Kälte – mein Lehrer

Es ist die kalte Jahreszeit und die Badesaison hat nun für manche Menschen angefangen. Aber warum überhaupt sich überwinden und sich dieser vermeintlich unangenehmen und intensiven Erfahrung aussetzen?

Mit dem Sprung ins kalte Wasser entscheidest Du Dich, Deine Komfortzone zu verlassen. Du begibst Dich in eine Extremsituation. Und nun kannst Du üben, mit dieser Empfindung umzugehen und trotz dem „Stress“ in die Ruhe zu kommen. Das ist Training für alle anderen Situationen in Deinem Leben, die Dich herausfordern.

Macht über Dich selbst

Im kalten Wasser tut Dein Körper, wofür er gemacht ist: das Überleben sichern. Er gibt Dir unaufhaltsam Signale, dass hier eine Bedrohung ist und Du schleunigst aus dem Wasser raus sollst. Durch die Entscheidung, in der Kälte zu bleiben, übernimmst Du die Macht über Dich. Diese Erfahrung wirst Du in anderen Momenten Deines Lebens – beispielsweise im Moment von Triggern und starken Gefühlen – erneut abrufen können.

Liebe zu Deinem Körper

Du wirst in der Kälte nur bestehen können, wenn Du eine liebevolle Haltung zu Deinem Körper entwickelst. Ja, Du kannst der Drill-Sergeant sein, der seinen Körper mit Härte und Disziplin vorwärts treibt, aber Du wirst bald merken, dass es sich nicht gut anfühlt. Durch die Wertschätzung Deinem Körper gegenüber, durch das Anerkennen der grossen Leistung, die er in diesem Moment vollbringt, lernst Du ihn und somit auch Dich selbst liebevoll zu behandeln.

Bewertungen loslassen

Wenn Du einer solch intensiven Körpererfahrung ausgesetzt bist, dann läuft der Kritiker in Deinem Kopf auf Hochtouren. Je mehr Du mit ihm mitgehst, desto unangenehmer wird die Erfahrung. Um die Situation zu meistern, wirst Du beginnen, die Bewertung sein zu lassen und die Empfindung als das zu sehen, was sie ist – eine Erfahrung.

Transformation

Und diese Erfahrung ist ein Weg zu Deinem Potenzial, Deiner Heilung. Denn durch die intensive Körpererfahrung werden alle Deine Zellen wie auch Dein Unterbewusstsein aktiviert und Du kannst Veränderungen in Deiner Haltung und Deinem Verhalten ermöglichen. Dafür brauchst Du eine klare Absicht, eine Affirmation, welche Du in Deine Begegnung mit der Kälte mitnimmst und im Fokus behältst – dann ist die Kälte Dein Lehrer, dein Therapeut.

Und wie starten?

Wenn es Deine ersten Erfahrungen mit der Kälte sind, empfiehlt es sich langsam vorzugehen, dabei aber achtsam zu sein, dass es keine Entschuldigungen sind, um der Konfrontation auszuweichen. Du bist somit eingeladen, Dich selbst in dem Moment zu spüren und ehrlich zu Dir zu sein. Vielleicht beginnst Du mit einer kalten Dusche oder einem Winterspaziergang im T-Shirt?

Und dann? Die wichtigste Regel in der Kälte: Ausatmen! Dein Körper möchte rasant einatmen, Du tust aber genau das Gegenteil und bringst Dich so in die Ruhe. Der zweite Aspekt: Freude. Geh es spielerisch an, mit Leichtigkeit. Wenn Du im kalten Wasser sitzt und lächelst, ist Dir das gelungen. Der dritte Aspekt: Nutze Deine Vorstellung. Stell Dir einen heissen Sommertag vor, an welchem Du schwitzt und schau, was passiert. Viel Spass beim Experimentieren!

Du gehst in Resonanz und möchtest in einer Gruppe in Begegnung mit Atem, Kälte und Dir selbst kommen? Im Januar findet das nächste Breathcode-Wochenende statt. Auf dem Bild siehst Du unsere Badewanne.

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Die Trolle und der Koboldjunge

Diese Geschichte ist aus dem Buch „Rauhnächte“ von Harald Krassnitzer

In dem Vorratshaus des kleinen Bauernhofes am Waldrand wohnten drei kleine Kobolde, Tjarfa, Torgus und Tjovik. Sie waren kaum mehr als eine Viertelelle lang und gehörten einem alten Koboldgeschlecht an, das schon über neunhundert Jahre auf dem Hof lebte. Das Anwesen hatte viele Male den Besitzer gewechselt. Die alten Menschen waren fortgegangen, und an ihrer Stelle waren neue gekommen. So war es Geschlecht auf Geschlecht Jahrhunderte hindurch gewesen. Aber die Koboldfamilie blieb treu wohnen, und die Würde des Großkobolds oder Hauskobolds auf dem Hof vererbte sich vom Vater auf den Sohn.

Es war Weihnachtsabend und großer Festschmaus dort unten im Vorratshaus. Der alte Koboldvater, Tjarfa Jovikson, wurde in der Weihnachtsnacht fünfhundert Jahre alt, und deshalb wurde gleichzeitig Geburtstagsund Weihnachtsschmaus gehalten. Er war trotz seines hohen Alters munter und rüstig, hatte die Hausherrngewalt aber kürzlich seinem Sohn, Torgus Tjarfason, übergeben, einem Dreihundertjährigen im Vollbesitz seiner Kräfte. Nun lebte der Alte auf dem Altenteil zwischen ein paar Mehlfässern in einer Ecke des Vorratshauses.

Der jüngste kleine Kobold, Tjovik Torgusson, war ein Knirps von nur hundert Sommern. Er hatte noch keinen Bart und reichte dem Vater kaum bis zur Achselhöhle.

Der kleine Hof lag sehr schön zwischen Wiesenstreifen und mit Laubwald bedeckten Hügeln. Zur einen Seite breiteten sich die Äcker aus, aber die andere Seite bedeckte dichter, dunkler Wald.

Ein Stück im Wald lag der steile, felsige Fuchsberg, und dort wohnten die Trolle Jåmpa und Skimpa. Jåmpa war der Trollkönig und lebte im Berg, und Skimpa war seine Frau. Lange bevor die Menschen in das Land gekommen waren, hatten sie schon dort gewohnt, sie waren viertausend Jahre alt.

Zwischen den Kobolden und den Trollen hatte zu allen Zeiten bittere Feindschaft geherrscht. Die Trolle waren groß, stark, böse und dumm, die Kobolde waren klein wie Puppen, aber freundlich und sehr klug. Die Trolle wollten den Leuten auf dem Hof nur Böses zufügen, und das konnten die Kobolde nicht zulassen. Deshalb gab es ständig Streit zwischen ihnen. Manchmal hatten die Kobolde die Oberhand, manchmal die Trolle. Anders kann es nicht sein, wenn sich Kraft und Verstand bekämpfen. Doch wer den Sieg davontrug, hing meistens von den Menschen ab, die auf dem Hof wohnten.

Jetzt war also großer Festschmaus im Vorratshaus. Alle Kobolde aus der Gegend waren eingeladen, und es ging fröhlich und lebhaft zu. Das Vorratshaus war reichlich versehen mit allerlei Esswaren. Es gab Äpfel und Würzbrot und Schinken und Wurst auf dem kleinen Tisch, einer umgedrehten Zuckerkiste. Die Leute auf dem Hof wussten sehr gut, wie vorsichtig die Kobolde waren und dass sie niemals auch nur ein Körnchen unnötigerweise verschwendeten.

»Großvater, jetzt musst du Geschichten von Skimpa und Jåmpa erzählen«, sagte Tjovik. Und er krabbelte auf den Schoß des Alten und streichelte seinen langen weißen Bart.
»Jaja, mein Kleiner«, sagte der Großvater fröhlich. »Sitz nur still jetzt, dann sollst du von alten Zeiten hören.«

Alle Kobolde setzten sich auf ihren Plätzen zurecht. Einige lagen halb auf dem Fußboden, die Hand unter der Wange, andere saßen auf umgedrehten Anchovisdosen und baumelten mit den Beinen.

»Jaja«, begann der alte Tjarfa, »ihr werdet sehen, vor achthundert Jahren, als mein Großvater Tarja Torgusson in seinen besten Jahren war, da war Leben da oben auf dem Fuchsberg. Das war zu der Zeit, als das Christentum im Land eingeführt werden sollte und die Leute dort in der Ebene eine Kirche bauten. Aber davon wollten die Trolle natürlich 

nichts wissen, und so rissen sie jede Nacht nieder, was die Leute am vorhergehenden Tag gebaut hatten.«

»Aber die Kirche wurde jedenfalls gebaut«, sagte der kleine Tjovik.

»So ist es, mein Junge, und Tarja, mein alter Großvater, hat den Leuten dabei geholfen. Er nahm eine Tüte mit Asche, wisst ihr, und kletterte auf einen Baum neben dem Felsen. Als dann die Trolle in der Nacht herauskamen, um Steine zu sammeln, die sie anschließend auf die Kirche werfen wollten, blies er ihnen Asche in die Augen.«

»Und da konnten sie die Kirche natürlich nicht sehen«, riefen die Kobolde entzückt.

»Nein, das konnten sie nicht. Das war vielleicht ein Geheul und Geschrei bei den Trollen, als sie ihre Blöcke auf gut Glück werfen mussten und kein einziger traf.«

»Armer Jåmpa«, kicherte der Koboldjunge.

»Nun, da wurde die Kirche also fertig«, fuhr der alte Tjarfa fort. »Der Bischof weihte sie, und danach konnten die Trolle ihr nicht mehr schaden. Aber umso schlimmer hausten sie im Wald unter Mensch und Tier. Damals gab es Wölfe und Bären, die von den Trollen auf das Vieh der Bauern gehetzt wurden. Und Großvater musste ständig hin und her flitzen, um den armen Leuten zu helfen.«

»Haben die Trolle ihn nie erwischt?«, fragte Tjovik.

»Doch, viele Male hatten sie ihn drinnen im Berg, aber er hat es immer verstanden, sie an der Nase herumzuführen und zu entwischen. Manchmal kam er schmutzig und mit zerrissenen Kleidern nach Hause, aber manchmal brachte er so viel Gold mit, wie er tragen konnte.«

»Haben die Trolle Gold im Berg?«, fragte der Junge verwundert. Da fingen die anderen Kobolde so herzlich an zu lachen, dass ihre Bärte hüpften.

»Man merkt, dass du noch ein Kind bist, kleiner Tjovik«, sagten sie. »Sonst wüsstest du wohl, dass der Berg voller Ringe und Spangen und anderem Goldschmuck ist.«

»Los!«, rief der kleine Kobold entzückt. »Wollen wir nicht versuchen, ein wenig von den Schätzen nach Hause zu schaffen? Die armen Leute hier in der Gegend können schon ein bisschen Flitterkram gebrauchen, um sich daran zu erfreuen.«

»Nein, nein, mein Kleiner«, sagte der Vater verdrießlich. »Das Gold, das die Menschen von den Trollen bekommen, wird nie zum Segen. Es weckt nur Hochmut, Faulheit und Verschwendung, Streit, Schlägereien und Feindschaft. Das begriff mein Großvater schnell, und deshalb haben sowohl mein Vater und ich als auch alle anderen Kobolde hier in der Gegend das Berggold in Ruhe gelassen.«

»Ja, es ist wohl auch nicht so leicht, da heranzukommen«, meinte Tjovik.

»Doch, in solch einer Nacht wie dieser geht es ziemlich leicht«, antwortete der alte Großvater. »In der Weihnachtsnacht holen die Trolle ihre Schätze hervor, um sie zu zählen, und dann sind sie so eifrig dabei, dass sie nichts hören und nichts sehen.«

»Aber wie kommt man in den Berg?«, fragte der Koboldjunge.

»In der Weihnachtsnacht gehen die Türen des Berges von selbst auf«, antwortete der Alte. »Aber wehe dem Armen, der dort bleibt, bis die Glocken zum Frühgottesdienst läuten. Dann bekommen die Trolle Gesicht und Gehör zurück, und dann wird man erwischt.«

»Und ist dein Vater auch mal mit den Trollen in Streit geraten, Großvater?«

»Jovik Tarjason! Ja, das will ich meinen. Einmal hing sein Leben nur an einem Faden. Das war, als er auf dem Ochsen aus dem Berg ritt.«

»Wie war denn das? Lieber Großvater, erzähl, erzähl.«

»Ja, also Skimpa hatte dem Bauern auf dem Hof hier einen Ochsen gestohlen. Mein Vater wurde natürlich wütend und schlich sich in den Berg hinein. Das ging wunderbar, denn die Trollalte hatte vergessen, die Tür zu schließen. Da stand Jåmpa mit einer Axt vor dem Ochsen und wollte ihn schlachten. Na, mein Vater, der war nicht bange. Er kletterte am Schwanz auf den Ochsen hinauf und stach ihn mit einer Stecknadel in den Rücken. Heisa! Der Ochse machte einen Sprung und stieß Jåmpa und Skimpa mit den Hörnern, sodass alle beide auf den Rücken fielen. Und dann sauste der Ochse zur Tür hinaus, mit Vater auf dem Rücken.«

Die Kobolde lachten so, dass zwei kleine Kobolde von den Anchovisdosen herunterkullerten.

»Na, und du, Großvater? Bist du einmal im Berg gewesen?«, fragte Tjovik.

»Viele Male. Aber ich habe niemals etwas anderes von den Trollen genommen als das, was sie den Leuten geraubt hatten. Einmal kam ich mit knapper Not mit dem Leben davon. Ich verlor die Zipfelmütze und die Holzschuhe und kam schwarz wie ein Schornsteinfeger nach Hause.«

»Wie bist du denn so schwarz geworden, Großvater?«

»Ja, ich musste doch durch den Schornstein hinaus, weil alle Türen verschlossen waren.«

»Da warst du genauso schlimm dran wie mein Bruder vor ein paar Jahren«, sagte einer der Kobolde.

»Wie war denn das mit ihm, Onkel?«, fragte Tjovik.

»Ja, er wollte das geraubte Hütemädchen vom Granhultabauern suchen und war noch im Berg, als der Hahn krähte und alle Türen zuschlugen. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als sich in die Bergquelle zu werfen und sich von dem Strom tragen zu lassen, der unter der Erde fließt. Du weißt, dass der Bach, der hier am Hof vorbeiführt, im Berg seine Quelle hat. Der Ärmste hatte keinen trockenen Faden am Leib, als er nach Hause kam.«

Der kleine Kobold hörte dies alles mit größtem Interesse. Er wollte den Trollen zu gern einen Armreifen oder eine Goldkette wegschnappen und sie Anna-Lisa geben, der ältesten Tochter im Haus, die bald getraut werden sollte. Sie war zu allen freundlich, und Tjovik wollte ihr etwas Gutes tun.

Lange saßen die Kobolde und lauschten dem alten Tjarfa. Doch schließlich wurden alle müde. Die Gäste gingen nach Hause. Der Großvater bettete sich auf einem alten Handschuh zur Ruhe, der in einer Ecke herumlag, und Torgus und Tjovik legten sich auf ein Katzenfell zwischen ein paar Zuckerkisten.

Aber der kleine Kobold konnte nicht einschlafen. Er lag nur da und grübelte darüber nach, wie er Anna-Lisa ein Schmuckstück aus dem Berg beschaffen könnte, nur ein einziges. Das konnte ihr doch nicht schaden? Die Menschen wurden wohl nur böse, wenn sie zu viel Gold bekamen.

Schließlich stand er auf, setzte die Zipfelmütze auf und zog die Holzschuhe an, ergriff seinen kleinen Stock und begab sich in den Wald hinaus.

Die Nacht war still und dunkel. Kein Stern blinkte am Himmel, und aus den Häusern des Dorfes fiel kein einziger Lichtschein. Alles schlief den tiefen, ruhigen Mitternachtsschlaf, nur vom Wald her ertönte ein paarmal das langgezogene Heulen eines Fuchses.

Der kleine Kobold trippelte rasch weiter. Er hatte keine Angst vor der Dunkelheit und kümmerte sich auch nicht um den Fuchs. Mit dreidaumenlangen Beinen ist man nicht besonders schnell, aber der Knirps konnte drei Schritte machen, wenn ein Mensch einen tut, und deshalb kam er auf jeden Fall vorwärts. Nach einer Stunde war er am Fuß des Fuchsberges.

Hu, wie felsig und steil und hoch er aufragte! Kein einziger Lichtstreifen drang aus den Felsspalten, aber von innen war Klingen und Rasseln zu hören, als ob jemand mit Gold- oder Silbergeld klapperte.

Wartet nur, sagte der kleine Kobold und begann den Berg hinaufzuklettern.

Es ging nicht schnell, aber es ging immerhin. Manchmal rutschte er ein Stück zurück, aber er griff von Neuem zu und kam immer höher hinauf. Keuchend und verschwitzt gelangte er von Klippe zu Klippe, von Felsblock zu Felsblock, schwang sich von einem Absatz auf den anderen und war bald auf halber Höhe. Aus einem Gehölz in der Nähe ertönte der Schrei einer Eule, aber Tjovik ließ sich nicht schrecken. Er wollte klettern, bis er eine Öffnung fand, durch die er zu den Trollen hineinkommen konnte.

Da sah er schließlich aus einem kleinen Spalt im Felsen einen Lichtschein. Er steckte seinen Stock in den Spalt und drückte ihn zur Seite. Die Türangeln mussten wohl gut geölt worden sein, denn die Tür ging sacht auf, ohne dass ein Laut zu hören war.

Der Knirps kam jetzt in einen großen Saal, Wände und Decke waren aus schwarzem, rauem Gestein. Hier und da lagen Knochen großer Tiere auf dem Boden, und an den Wänden hingen rostige Waffen.

»Hu, hier ist es unheimlich«, sagte der Koboldknirps und ging weiter.

Da kam er an eine neue Tür, die aus Kupfer zu sein schien. Sie ging genauso leicht auf wie die erste, und nun gelangte Tjovik in einen neuen Saal. Hier lagen Haufen von Silbergeld an den Wänden, aber kein einziges lebendes Wesen war zu sehen.

Der Koboldjunge blieb verwundert stehen und schaute auf die Silberhaufen.

»Hier könnte ich mir ja schon Geld für eine Uhr beschaffen, an der mein braver Bauer seine Freude hätte«, sagte er. »Aber halt. Was ist das für ein Klingen hinter dieser Silbertür. Ich möchte doch wissen, was sie da drinnen machen …«

Er ging leise auf die Silbertür zu und öffnete sie. Und was bekam er zu sehen! Mitten auf dem Fußboden stand eine offene Kiste, und neben ihr saßen zwei schreckliche Trolle und klirrten mit Goldringen, Armbändern, Perlen und Edelsteinen. Sie waren so damit beschäftigt, ihre Schätze in der Kiste zu zählen, dass sie es weder hörten noch sahen, als Tjovik hereinkam.

An der einen Seite des Saals befand sich eine Quelle, aus der das Wasser unter die Wand und in die Erde strömte. Am Rand lag ein geborstener Holzschuh, der mit einer Schnur an der Wand festgebunden war, dass er nicht fortschwimmen konnte.

Diesen unförmigen Holzschuh hat Skimpa in die Quelle gesetzt, damit der Riss dicht wird, sagte Tjovik zu sich selbst. Wer weiß, ob ich nicht in diesem Boot von hier fortsegele, falls die Türen geschlossen werden sollten.

Leise und vorsichtig ging er zu der Kiste. Aber die war so hoch, dass er nicht bis zum Rand reichte. Er reckte und streckte sich, sosehr er konnte, und im gleichen Augenblick, da … ja, nun sollt ihr es erfahren.

Jåmpa und Skimpa mussten auf einmal niesen. Du meine Güte, so stark, dass der Berg erdröhnte! Der Luftzug war so kräftig, dass der kleine Kobold wie ein Handschuh durch die Luft flog und kopfüber auf das Gold in der Kiste fiel.

Ach, nun geht doch alles schief, dachte Tjovik und umklammerte den Stock, um sich gegen die Trolle zu verteidigen.

Doch die dummen Wesen hatten ihn nicht gesehen. Sie zählten und zählten nur. Der Knirps sah sich zwischen all dem Gold um. Und er wählte eine Kette aus, die gerade lang genug als Halskette war, und versuchte dann auf den Rand der Kiste zu klettern, um von dort auf die Erde springen zu können.

Da begannen im gleichen Augenblick die Kirchenglocken zum Frühgottesdienst zu läuten. Beide Trolle sprangen auf und stopften sich die Finger in die Ohren. Alle Türen des Berges fielen ins Schloss, und der Kistendeckel schlug über dem Gold und dem kleinen Kobold zu.

Ja, da saß er nun wie eine Maus in der Falle. Aber er gehörte nicht zu denen, die gleich den Mut verlieren.

Wenn ich nur die Trolle dazu bringen kann, die Kiste wieder zu öffnen, dann wird sich schon Rat finden, dachte er. Und er hielt den Mund an das Schlüsselloch und pfiff wie eine Maus.

»Wir haben eine Maus in der Kiste, Vater«, sagte die Trollalte.

»Die muss da sitzen bis zum nächsten Weihnachtsabend«, sagte der Troll.

»Dann frisst sie Löcher in die Kiste, Väterchen«, sagte die Alte.

»Da kannst du recht haben, Mütterchen«, sagte der Alte.

Und er öffnete die Kiste und sah den Koboldknirps an der Kante sitzen.

»Ja, du bist mir eine lustige Maus«, sagte er und lachte so, dass der Bauch wackelte. »Was bist du für ein Luftikus?«

»Ich bin Tjovik Torgusson, der Koboldjunge vom Hof«, sagte der Knirps keck.

»Ha, ha, ha! Hi, hi, hi! Ho, ho, ho!«, lachte der Trollalte, während er den Knirps zwischen Daumen und Zeigefinger nahm. »Du wirst eine nette kleine Nachspeise nach dem Weihnachtsschinken. Hast du die Bratpfanne in Ordnung, Mutter?«

»Ihr könnt mich doch nicht braten, bevor ich mir den Schmutz von den Fingern gewaschen habe«, sagte Tjovik.

»Warte nur«, sagte der Troll. »Du wirst schon gewaschen werden, darauf kannst du dich verlassen.«

Und dann setzte er den Knirps an den Rand der Quelle und schüttete Wasser über ihn.

»So wird das nichts!«, rief Tjovik. »Du musst schon eine Bürste und Seife herholen.«

»Das ist ja ein strenger kleiner Herr«, brummte der Troll und ließ ihn los, um eine Bürste zu holen.

Im gleichen Augenblick sprang der kleine Kobold in den Holzschuh, zog sein Taschenmesser heraus und schnitt die Schnur durch, die ihn festhielt.

Heisa! Der Holzschuh folgte sofort der Strömung unter die Felswand. Jåmpa und Skimpa stießen gleichzeitig so ein Geheul aus, dass das Trommelfell hätte zerspringen können. Aber der kleine Kobold schwenkte seine Zipfelmütze und rief: »Hurra!«

Der Strom führte den Holzschuh mit dem kleinen Passagier durch den unterirdischen Kanal hinaus in den Bach, der am Hof vorbeifloss. Dort sprang der Knirps an Land und ging nach Hause. Aber die Goldkette hatte er verloren, als der Troll Wasser über ihn geplanscht hatte.

Um ein Haar hätte der kleine Kobold vom Vater und auch vom Großvater für sein dummdreistes Verhalten Prügel bezogen. Aber er kam noch einmal so davon, weil er vorher noch nie etwas ausgefressen hatte. Und er musste versprechen, niemals mehr nach anderen Schätzen zu suchen als solchen, die man durch nützliche Arbeit verdienen kann. Und dies Versprechen hat er als ehrlicher Kobold immer gehalten.

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Der arme Tischler und der Herr des Waldes

Diese Geschichte ist aus dem Buch „Rauhnächte“ von Harald Krassnitzer
Bildquelle: Wikipedia „der grüne Mann“

Vor Jahren lebte ein armer Tischler mit seiner alten Mutter, seiner Frau und seinen drei Kindern am Rande des großen Waldes. Sie mussten keinen Hunger leiden, doch manchmal fehlte das Geld, um neue Kleidung für die Kinder oder Medizin für die kranke Mutter zu kaufen.

Eines Winters, in dem es sehr kalt war und die Wölfe lauter heulten als sonst, war die Armut besonders drückend. Unter dem Christbaum hatten keine Geschenke gelegen, und die traurigen Augen seiner Kinder machten auch den armen Tischler traurig.

Er wusste nicht, was er tun sollte: Er war fleißig und beherrschte sein Handwerk, doch es gab nicht genug Leute, die ihre Tische und Stühle bei ihm anfertigen ließen. Vielleicht lag es daran, dass er alles, was er tat, sehr sorgfältig machte und mehr Zeit brauchte als andere seiner Zunft. Am liebsten hätte er jedes Stück mit kunstvollen Schnitzereien versehen, doch das wollten die Leute nicht – und wollten sie es, so wollten sie doch nicht für diese Arbeit zahlen.

In einer dunklen Rauhnacht plagte die Schwermut den armen Tischler so sehr, dass er es nicht im Hause aushielt. Er zog sich einen dicken Mantel an und ging hinaus, in die klirrende Kälte der letzten Nacht des Jahres. Die Kälte machte seinen Kopf klar, doch die Schwermut blieb, wie ein leiser Ruf aus der Ferne.

Ohne es zu merken, war der Tischler tief in den Wald geraten. Der Vollmond schien, und es war ganz still im Wald. Er begann sich ein wenig zu fürchten. Hieß es nicht, dass in den Rauhnächten das kleine Volk oft aus der Erde kam und den Menschen Streiche spielte? Er hatte von Moosweiblein und Holzmännchen gehört, die einsame Wanderer in die Irre geführt hatten. Aber hatten die Alten im Dorf nicht auch gesagt, dass das kleine Volk großes Glück bringen könnte, wenn man ihm zur rechten Zeit, am rechten Ort und mit Höflichkeit begegnete?

Kaum hatte er das gedacht, meinte er, kleine Gestalten hinter den Bäumen hervorlugen zu sehen, und ihn schauerte. Doch er fasste sich ein Herz. Vielleicht war ja gerade heute die richtige Zeit. In diesem Moment fiel ihm ein Spruch ein, den er als Kind von seinem Großvater gehört hatte:

»Kleines Volk, kommt herfür, seht mein Herz, vertrauet mir, Mondenschein, Waldesklang zeiget euch, mir ist nicht bang.«

Kaum hatte er diese Worte geflüstert, raschelte es im Gebüsch, und der Tischler meinte, feine Stimmchen lachen zu hören. Er sah hinter den Busch, doch da war nichts. Enttäuscht wandte er sich um – und da standen zwei kleine Wichte vor ihm.

»Menschenkind, gib gut acht, bei vollem Mond der Neujahrsnacht hat mancher schon sein Glück gemacht. Dreimal wünsche, doch wünsche klug: Dann hast du für dein Leben genug.«

Damit verschwanden sie, als hätte der Wind sie fortgeweht, und nur ein leises, fernes Gelächter hing im Wald. Der arme Tischler wusste nicht, ob er geträumt hatte. Was hatten die Wichte gesagt? Er habe drei Wünsche? Er wollte schon den ersten Wunsch aussprechen, da fiel ihm ein, dass der Großvater nicht nur von der rechten Zeit und dem rechten Ort, sondern auch von der Höflichkeit gesprochen hatte. Er hatte ihn auch einen Spruch dazu gelehrt. Er verbeugte sich und sprach:

»Ich danke den Herren des Waldes. Ich ehre die Herrin des Waldes. Ich danke euch für eure Gabe …«

Es gab noch eine Zeile, doch die wollte ihm nicht einfallen. Schließlich sagte er:

»… auch wenn ich sie nicht verdienet habe.«

Da erschien ein riesenhafter alter Mann und donnerte: »Wünschen willst du also? Aber den Dankspruch kennst du nicht?«

Der Tischler zitterte und sprach: »Vergebt mir, Herr des Waldes.«

Der Alte nickte. »Deine Absicht war gut, und auch dein Reim war zwar nicht richtig, doch recht. Doch da du den richtigen Spruch nicht weißt, hast du nur einen Wunsch. Drum wünsche dreifach klug!« Er reichte dem Tischler einen Eisenring. »Steck den Ring an deinen Finger. Sprich deinen Wunsch, und drehe den Ring, und du wirst bekommen, was dir zukommt.«

Der Tischler hätte den Herrn des Waldes gerne noch befragt. Aber der war so plötzlich verschwunden, wie er gekommen war. Der Tischler rief noch einmal in den Wald: »Ich danke dem Herrn des Waldes und allen seinen Untertanen!«

Nun begann das Nachdenken. Was könnte er sich wünschen? Einen Beutel Gold. Nein, besser eine Truhe Gold. Oder eine große Werkstatt in der Stadt. Könnte er nicht, wenn er es sich nun schon wünschen dürfte, sogar Graf sein? Dem armen Tischler wurde ganz schwindelig.

Doch er war ein guter Kerl, und er hatte den Erzählungen seiner Großeltern immer genau zugehört. Wie viele Geschichten hatte er gehört, wo jemandem Wünsche gewährt wurden, doch seine törichten, selbstsüchtigen Wünsche hatten ihm nur Unglück gebracht!

So dachte der Tischler an seine liebe Frau, an seine geliebten Kinder und an seine alte, gute Mutter, und alle Selbstsucht verschwand aus seinem Herzen.

»Ich wünsche mir nur, dass es meinen Lieben gut im Leben gehen möge!« Und er bemerkte kaum, dass er dabei den Ring gedreht hatte.

Der Tischler war nun voller Zuversicht und ging mit frohem Herzen nach Hause. Es war noch immer die arme Hütte, doch er fühlte sich, als würde er in ein Schloss einkehren. Als er die Tür öffnete, stürmten seine Frau und seine Kinder zu ihm und fragten, was er denn so lange im Wald getan habe? Doch der Tischler lächelte nur, denn er wusste, dass man nicht leichtfertig von den Begegnungen mit dem kleinen Volk sprechen durfte.

Und wurde sein Wunsch erfüllt? Ja, doch nicht wie ein Zauber, sondern ganz so, als ob alles seinen natürlichen Gang ginge. Die alte Mutter wurde wieder gesund, niemand wurde mehr krank, und die Familie war arm, aber glücklich. Und schließlich verließ auch die Armut das Haus, die so viel Glück nicht ertragen konnte.

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Odins Preis, den er für Weisheit bezahlte

Und so reitete Odin nicht mehr auf Sleipner, seinem achtbeinigen Ross; trug nicht mehr seine goldene Rüstung und seinen Adlerhelm. Und sogar ohne seinen Speer in der Hand, reiste er durch Midgard, die Welt der Menschen, und machte seinen Weg nach Jötunheim, dem Reich der Riesen.

Er nannte sich nicht mehr Odin Allvater, sondern Vegtam der Wanderer. Er trug einen dunkelblauen Umhang und einen Reisestab in seinen Händen. Und so machte er sich auf zur Quelle der Weisheit am Fusse des Weltenbaumes Yggdrasil mit der Absicht, von ihr zu trinken. Die Quelle wurde bewacht von Mimir, dem Riesen.

Odin ging auf den Riesen zu und sprach: „Guten Tag Riese. Ich bin Vegtam, der Wanderer und komme von weit her zu Dir.“
Mimir blickt ihn mit zugekniffenen Augen an, begann zu grinsen und antwortete: „Für wen hältst Du mich, Allvater? Denkst Du ich würde den Höchsten der Asen, Odin persönlich, nicht erkennen?“
Odin war überrascht und auch verärgert, dass er erkannt worden war, riss sich aber umgehend wieder zusammen: „Du weisst in der Tat eine Menge, Riese.“
„Um Dich zu erkennen, braucht es keine Weisheit“, grinste Mimir.
Odin antwortete forsch: „Na schön. Dann behandle mich wie einen normalen Gast und biete mir etwas zu trinken an.“

„Sehr gerne“, antwortete der Riese übertrieben freundlich und ging voran, worauf Odin ihm folgte. Das Rauschen der Quelle wurde hörbar und Odins Gesicht erhellte sich. Doch Mimir blieb abrupt stehen und drehte sich zu Odin um: „Reich mir Dein Horn, Allvater.“ Der Obergott verstand nicht. Mimir blickte ihn an: „Du sagtest doch, Du hast Durst“.

Odin reichte ihm immer noch verständnislos sein Trinkhorn, worauf der Riese es an einem Wasserlauf an einem Felsvorsprung auffüllte und ihm hinstreckte. Sie gingen weiter in einen Hof, wo der Göttervater sofort die Quelle der Weisheit erkannte und sehnsüchtig zu ihr hinüberschaute. Mimir steuerte jedoch auf einen Tisch mit zwei Sitzbänken zu und setzte sich hin. Auch Odin setzte sich widerwillig zu ihm.

„Weshalb trinkst Du nicht Allvater? Schmeckt Dir mein Wasser nicht?“, fragte der Riese, nachdem Odin keine Anstalten machte, aus seinem Horn zu trinken. „Es ist nicht ganz mein Fall“, antwortete Odin gespielt. „Ich möchte lieber vom Wasser dort hinten“, und er zeigte auf die Quelle der Weisheit.

Auf Mimirs Gesicht erschien ein breites Grinsen. „Warum belügst Du mich, Odin? Warum sagst Du mir nicht gleich, dass Du von meiner Quelle trinken willst?“
Odin wirkte ertappt: „Hättest Du mich den trinken lassen?“
„Auf keinen Fall!“, antwortete Mimir lautstark und mit Genuss.
Nun wurde Odin wütend: „Pass‘ auf Riese! Hier steht der oberste Gott der Asen vor Dir!“
„Das ist meine Quelle und hier gelten meine Regeln. Und diese gelten für jeden“, entgegnete der Riese klar. „Und warum überhaupt willst Du, Göttervater, älter als alle Wesen des Weltenbaumes, unbedingt von dieser Quelle trinken?“
Odins Stimme wurde leiser: „Das kann ich Dir nicht sagen.“
„Dann wirst Du auch nicht von ihr trinken“, antwortete Mimir.

Odin rang offensichtlich mit sich selbst und Mimir schien den Moment auszukosten. Dann begann er mit Schwermut zu sprechen: „Du weisst, wer meine Frau ist?“
„Ja, Frigg“, antwortete der Riese.
„Und was ist besonders an ihr?“
„Sie spinnt die Schicksalsfäden und kann deshalb die Zukunft voraussehen?“, antwortete Mimir fragend.
„Ja genau das ist es! Meine Frau weiss alles, noch bevor es passiert. Und was denkst Du, wie es ist, mit einer Frau zu leben, die alles schon im Voraus weiss?“

Mimir verstand und hatte sichtlich Mitleid mit dem Göttervater. Dies hatte er sich noch nie überlegt: „Und deshalb tust Du all diese Dinge, wie dich tagelang an einen Baum zu hängen, um ihr ebenbürtig zu sein?“
„Ja klar, was meinst Du denn? Und deshalb muss ich aus dieser Quelle trinken!“ Odin zeigte zur Quelle der Weisheit. Mimir schwieg eine Weile. Dann hatte er eine Idee.
„Du hast bewiesen, dass es Dir mit der Weisheit ernst ist und Du bereit bist, Opfer zu bringen“, sagte der Riese und fuhr fort: „Aber ich vertraue Dir nicht, dass Du mit Deinem Wissen verantwortungsvoll umgehen kannst. Deshalb will ich einen Pfand. Etwas, das etwa genau so wertvoll ist.“
„Und was wäre das?“, fragte Odin.
„Dein linkes Auge.“
Odin schluckte. Mimir sprach weiter: „Ich hebe es auf, so lange Du lebst. Gegen Ende Deines Lebens bekommst Du es zurück.“

Odin erstarrte. Er wusste, mit nur einem Auge würde er von seinem Thron aus die neun Welten nicht mehr überblicken können. War es diesen Preis wert? Aber all das kannte er schon, ein Schluck aus der Quelle hingegen… was für eine schwere Entscheidung. Odin wurde wütend. So wütend, dass er fast zerplatzte. Wütender als die Angst, sein Auge zu verlieren.

Sprachlos vor Erstaunen und auch entsetzt starrte Mimir auf das kleine Steinbecken der Quelle und darin tanzte etwas: Odins Auge. Mimir brauchte einen Moment, um sich zu sammeln. „Ich werde… sicher… gute auf dein Auge aufpassen“, stammelte er.

Dann nahm er Odins Horn vom Tisch, füllte es mit dem Wasser aus der Quelle der Weisheit und überreichte es ihm. Odin trank das ganze Horn wortlos in einem Zug leer – und er nickte. Trotz des Schmerzen breitete sich ein breites, sehr zufriedenes Grinsen auf seinem blutüberströmten Gesicht aus. Er nickt nochmals.
„Es wirkt.“

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Der Eisenhans – Prinz, Diener und König

Eine Geschichte über Männlichkeit und übers Mannwerden. Über das Erwachen des wilden Mannes, über Dienerschaft, Bescheidenheit und Königsein.

Es war einmal ein König, der hatte einen grossen Wald bei seinem Schloss; darin lief Wild aller Art herum. Zu einer Zeit schickte er einen Jäger hinaus, der sollte ein Reh schiessen, aber er kam nicht wieder. „Vielleicht ist ihm ein Unglück zugestossen,“ sagte der König und schickte den folgenden Tag zwei andere Jäger hinaus, die sollten ihn aufsuchen; aber die blieben auch weg. Da liess er am dritten Tag alle seine Jäger kommen und sprach: „Streift durch den ganzen Wald und lasst nicht ab, bis ihr sie alle drei gefunden habt!“ Aber auch von diesen kam keiner wieder heim, und von der Meute Hunde, die sie mitgenommen hatten, liess sich keiner wieder sehen. Von der Zeit an wollte sich niemand mehr in den Wald wagen, und er lag da in tiefer Stille und Einsamkeit, und man sah nur zuweilen einen Adler oder Habicht darüber hinwegfliegen.

Das dauerte viele Jahre; da meldete sich ein fremder Jäger bei dem König, suchte eine Versorgung und erbot sich, in den gefährlichen Wald zu gehen. Der König aber wollte seine Einwilligung nicht geben und sprach: „Es ist nicht geheuer darin, ich fürchte, es geht dir nicht besser als den andern, und du kommst nicht wieder heraus.“ Der Jäger antwortete: „Herr, ich will’s auf meine Gefahr wagen; von Furcht weiß ich nichts.“ Der Jäger begab sich also mit seinem Hund in den Wald. Es dauerte nicht lange, so geriet der Hund einem Wild auf die Fährte und wollte hinter ihm her; kaum aber war er ein paar Schritte gelaufen, so stand er vor einem tiefen Pfuhl, konnte nicht weiter, und ein nackter Arm streckte sich aus dem Wasser, packte ihn und zog ihn hinab. Als der Jäger das sah, ging er zurück und holte drei Männer, die mussten mit Eimern kommen und das Wasser ausschöpfen. Als sie auf den Grund sehen konnten so lag da ein wilder Mann, der braun am Leib war wie rostiges Eisen und dem die Haare über das Gesicht bis zu den Knien herabhingen. Sie banden ihn mit Stricken und führten ihn fort in das Schloss. Da war große Verwunderung über den wilden Mann; der König aber ließ ihn in einen eisernen Käfig auf seinen Hof setzen und verbot bei Lebensstrafe, die Türe des Käfigs zu öffnen, und die Königin musste den Schlüssel selbst in Verwahrung nehmen. Von nun an konnte ein jeder wieder mit Sicherheit in den Wald gehen.

Der König hatte einen Sohn von acht Jahren, der spielte einmal auf dem Hof, und bei dem Spiel fiel ihm sein goldener Ball in den Käfig. Der Knabe lief hin und sprach: „Gib mir meinen Ball heraus!“ – „Nicht eher,“ antwortete der Mann, „als bis du mir die Türe aufgemacht hast.“ – „Nein,“ sagte der Knabe, „das tue ich nicht, das hat der König verboten,“ und lief fort. Am andern Tag kam er wieder und forderte seinen Ball. Der wilde Mann sagte: „Öffne meine Türe!“ Aber der Knabe wollte nicht. Am dritten Tag war der König auf Jagd geritten, da kam der Knabe nochmals und sagte: „Wenn ich auch wollte, ich kann die Türe nicht öffnen, ich habe den Schlüssel nicht.“ Da sprach der wilde Mann: „Er liegt unter dem Kopfkissen deiner Mutter, da kannst du ihn holen.“ Der Knabe, der seinen Ball wieder haben wollte, schlug alles Bedenken in den Wind und brachte den Schlüssel herbei. Die Türe ging schwer auf, und der Knabe klemmte sich den Finger. Als sie offen war, trat der wilde Mann heraus, gab ihm den goldenen Ball und eilte hinweg. Dem Knaben war angst geworden, er schrie und rief ihm nach: „Ach, wilder Mann, gehe nicht fort, sonst bekomme ich Schläge.“ Der wilde Mann kehrte um, hob ihn auf, setzte ihn auf seinen Nacken und ging mit schnellen Schritten in den Wald hinein. Als der König heimkam, bemerkte er den leeren Käfig und fragte die Königin, wie das zugegangen wäre. Sie wusste nichts davon, suchte den Schlüssel, aber er war weg. Sie rief den Knaben, aber niemand antwortete. Der König schickte Leute aus, die ihn auf dem Felde suchen sollten, aber sie fanden ihn nicht. Da konnte er leicht erraten, was geschehen war, und es herrschte große Trauer an dem königlichen Hof.

Als der wilde Mann wieder in dem finstern Wald angelangt war, so setzte er den Knaben von den Schultern herab und sprach zu ihm: „Vater und Mutter siehst du nicht wieder, aber ich will dich bei mir behalten, denn du hast mich befreit, und ich habe Mitleid mit dir. Wenn du alles tust, was ich dir sage, so sollst du’s gut haben. Schätze und Gold habe ich genug und mehr als jemand in der Welt. “ Er machte dem Knaben ein Lager von Moos, auf dem er einschlief; und am andern Morgen führte ihn der Mann zu einem Brunnen und sprach: „Siehst du, der Goldbrunnen ist hell und klar wie Kristall, du sollst dabeisitzen und achthaben, dass nichts hineinfällt, sonst ist er verunehrt. Jeden Abend komme ich und sehe, ob du mein Gebot befolgt hast.“ Der Knabe setzte sich an den Rand des Brunnens, sah, wie manchmal ein goldener Fisch, manchmal eine goldene Schlange sich darin zeigte, und hatte acht, dass nichts hineinfiel. Als er so saß, schmerzte ihn einmal der Finger so heftig, dass er ihn unwillkürlich in das Wasser steckte. Er zog ihn schnell wieder heraus, sah aber, dass er ganz vergoldet war, und wie große Mühe er sich gab, das Gold wieder abzuwischen, es war alles vergeblich. Abends kam der Eisenhans zurück, sah den Knaben an und sprach: „Was ist mit dem Brunnen geschehen?“ – „Nichts, nichts,“ antwortete er und hielt den Finger auf den Rücken, dass er ihn nicht sehen sollte. Aber der Mann sagte: „Du hast den Finger in das Wasser getaucht. Diesmal mag’s hingehen, aber hüte dich, dass du nicht wieder etwas hineinfallen lässt!“ Am frühesten Morgen saß er schon bei dem Brunnen und bewachte ihn. Der Finger tat ihm wieder weh, und er fuhr damit über seinen Kopf, da fiel unglücklicherweise ein Haar herab in den Brunnen. Er nahm es schnell heraus, aber es war schon ganz vergoldet. Der Eisenhans kam und wußte schon, was geschehen war. „Du hast ein Haar in den Brunnen fallen lassen,“ sagte er, „ich will dir’s noch einmal nachsehen; aber wenn’s zum drittenmal geschieht, so ist der Brunnen entehrt, und du kannst nicht länger bei mir bleiben.“ Am dritten Tag saß der Knabe am Brunnen und bewegte den Finger nicht, wenn er ihm noch so weh tat. Aber die Zeit ward ihm lang und er betrachtete sein Angesicht, das auf dem Wasserspiegel stand. Und als er sich dabei immer mehr beugte und sich recht in die Augen sehen wollte, so fielen ihm seine langen Haare von den Schultern herab in das Wasser. Er richtete sich schnell in die Höhe, aber das ganze Haupthaar war schon vergoldet und glänzte wie eine Sonne. Ihr könnt euch denken, wie der arme Knabe erschrak. Er nahm sein Taschentuch und band es um den Kopf, damit es der Mann nicht sehen sollte. Als er kam, wusste er schon alles und sprach: „Binde das Tuch auf!“ Da quollen die goldenen Haare hervor, und der Knabe mochte sich entschuldigen wie er wollte, es half ihm nichts. „Du hast die Probe nicht bestanden und kannst nicht länger hier bleiben. Geh hinaus in die Welt, da wirst du erfahren, wie die Armut tut. Aber weil du kein böses Herz hast und ich’s mit dir gut meine, so will ich dir eins erlauben. Wenn du in Not gerätst, so geh zu dem Wald und rufe: ‚Eisenhans!‘, dann will ich kommen und dir helfen. Meine Macht ist groß, größer als du denkst, und Gold und Silber habe ich im Überfluss.“

Da verließ der Königssohn den Wald und ging über gebahnte und ungebahnte Wege immerzu, bis er zuletzt in eine große Stadt kam. Er suchte da Arbeit, aber er konnte keine finden und hatte auch nichts erlernt, womit er sich hätte forthelfen können. Endlich ging er in das Schloss und fragte, ob sie ihn behalten wollten. Die Hofleute wussten nicht, wozu sie ihn brauchen sollten, aber sie hatten Wohlgefallen an ihm und hießen ihn bleiben. Zuletzt nahm ihn der Koch in Dienst und sagte, er könnte Holz und Wasser tragen und die Asche zusammenkehren. Einmal, als gerade kein anderer zur Hand war, hieß ihn der Koch die Speisen zur königlichen Tafel tragen, da er aber seine goldenen Haare nicht wollte sehen lassen, so behielt er sein Hütchen auf. Dem König war so etwas noch nicht vorgekommen, und er sprach: „Wenn du zur königlichen Tafel kommst, musst du deinen Hut abziehen!“ – „Ach Herr,“ antwortete er, „ich kann nicht, ich habe einen bösen Grind auf dem Kopf.“ Da liess der König den Koch herbeirufen, schalt ihn und fragte, wie er einen solchen Jungen hätte in seinen Dienst nehmen können; er sollte ihn gleich fortjagen. Der Koch aber hatte Mitleiden mit ihm und vertauschte ihn mit dem Gärtnerjungen.

Nun musste der Junge im Garten pflanzen und begießen hacken und graben und Wind und böses Wetter über sich ergehen lassen. Einmal im Sommer, als er allein im Garten arbeitete, war der Tag so heiß, dass er sein Hütchen abnahm und die Luft ihn kühlen sollte. Wie die Sonne auf das Haar schien, glitzte und blitzte es, daß die Strahlen in das Schlafzimmer der Königstochter fielen und sie aufsprang, um zu sehen, was da wäre. Da erblickte sie den Jungen und rief ihn an: „Junge, bring mir einen Blumenstrauss!“ Er setzte in aller Eile sein Hütchen auf, brach wilde Feldblumen ab und band sie zusammen. Als er damit die Treppe hinaufstieg, begegnete ihm der Gärtner und sprach: „Wie kannst du der Königstochter einen Strauss von schlechten Blumen bringen? Geschwind hole andere und suche die schönsten und seltensten aus!“ – „Ach nein,“ antwortete der Junge, „die wilden riechen kräftiger und werden ihr besser gefallen.“ Als er in ihr Zimmer kam, sprach die Königstochter: „Nimm dein Hütchen ab, es ziemt sich nicht, dass du ihn vor mir aufbehältst.“ Er antwortete wieder: „Ich darf nicht, ich habe einen grindigen Kopf.“ Sie griff aber nach dem Hütchen und zog es ab, da rollten seine goldenen Haare auf die Schultern herab, dass es prächtig anzusehen war. Er wollte fortspringen, aber sie hielt ihn am Arm und gab ihm eine Handvoll Dukaten. Er ging damit fort, achtete aber des Goldes nicht, sondern er brachte es dem Gärtner und sprach: „Ich schenke es deinen Kindern, die können damit spielen.“ Den andern Tag rief ihm die Königstochter abermals zu, er sollte ihr einen Strauß Feldblumen bringen, und als er damit eintrat, grapste sie gleich nach seinem Hütchen und wollte es ihm wegnehmen; aber er hielt es mit beiden Händen fest. Sie gab ihm wieder eine Handvoll Dukaten, aber er wollte sie nicht behalten und gab sie dem Gärtner zum Spielwerk für seine Kinder. Den dritten Tag ging’s nicht anders: Sie konnte ihm sein Hütchen nicht wegnehmen, und er wollte ihr Gold nicht.

Nicht lange danach ward das Land mit Krieg überzogen. Der König sammelte sein Volk und wusste nicht, ob er dem Feind, der übermächtig war und ein großes Heer hatte, Widerstand leisten könnte. Da sagte der Gärtnerjunge: „Ich bin herangewachsen und will mit in den Krieg ziehen; gebt mir nur ein Pferd!“ Die andern lachten und sprachen: „Wenn wir fort sind, so suche dir eins; wir wollen dir eins im Stall zurücklassen.“ Als sie ausgezogen waren, ging er in den Stall und zog das Pferd heraus; es war an einem Fuss lahm und hickelte hunkepuus, hunkepuus. Dennoch setzte er sich auf und ritt fort nach dem dunkeln Wald. Als er an den Rand desselben gekommen war, rief er dreimal ‚Eisenhans‘ so laut, dass es durch die Bäume schallte. Gleich darauf erschien der wilde Mann und sprach: „Was verlangst du?“ – „Ich verlange ein starkes Ross, denn ich will in den Krieg ziehen.“ – „Das sollst du haben und noch mehr als du verlangst.“ Dann ging der wilde Mann in den Wald zurück, und es dauerte nicht lange, so kam ein Stallknecht aus dem Wald und führte ein Ross herbei, das schnaubte aus den Nüstern und war kaum zu bändigen. Und hinterher folgte eine Schar Kriegsvolk, ganz in Eisen gerüstet, und ihre Schwerter blitzten in der Sonne. Der Jüngling übergab dem Stallknecht sein dreibeiniges Pferd, bestieg das andere und ritt vor der Schar her. Als er sich dem Schlachtfeld näherte, war schon ein grosser Teil von des Königs Leuten gefallen, und es fehlte nicht viel, so mussten die übrigen weichen. Da jagte der Jüngling mit seiner eisernen Schar heran, fuhr wie ein Wetter über die Feinde und schlug alles nieder, was sich ihm widersetzte. Sie wollten fliehen, aber der Jüngling saß ihnen auf dem Nacken und ließ nicht ab, bis kein Mann mehr übrig war. Statt aber zu dem König zurückzukehren, führte er seine Schar auf Umwegen wieder zu dem Wald und rief den Eisenhans heraus. „Was verlangst du?“ fragte der wilde Mann. „Nimm dein Ross und deine Schar zurück und gib mir mein dreibeiniges Pferd wieder!“ Es geschah alles, was er verlangte, und er ritt auf seinem dreibeinigen Pferd heim. Als der König wieder in sein Schloss kam, ging ihm seine Tochter entgegen und wünschte ihm Glück zu seinem Siege. „Ich bin es nicht, der den Sieg davongetragen hat,“ sprach er, „sondern ein fremder Ritter, der mir mit seiner Schar zu Hilfe kam.“ Die Tochter wollte wissen, wer der fremde Ritter wäre, aber der König wusste es nicht und sagte: „Er hat die Feinde verfolgt, und ich habe ihn nicht wiedergesehen.“ Sie erkundigte sich bei dem Gärtner nach dem Jungen; der lachte aber und sprach: „Eben ist er auf seinem dreibeinigen Pferde heimgekommen, und die andern haben gespottet und gerufen: ‚Da kommt unser Hunkepuus wieder an.‘ Sie fragten auch: ‚Hinter welcher Hecke hast du derweil gelegen und geschlafen?‘ Er sprach aber: ‚Ich habe das Beste getan, und ohne mich wäre es schlecht gegangen.‘ Da ward er noch mehr ausgelacht.“

Der König sprach zu seiner Tochter: „Ich will ein grosses Fest ansagen lassen, das drei Tage währen soll, und du sollst einen goldenen Apfel werfen. Vielleicht kommt der Unbekannte herbei.“ Als das Fest verkündigt war, ging der Jüngling hinaus zu dem Wald und rief den Eisenhans. „Was verlangst du?“ fragte er. „Dass ich den goldenen Apfel der Königstochter fange.“ – „Es ist so gut, als hättest du ihn schon,“ sagte Eisenhans, „du sollst auch eine rote Rüstung dazu haben und auf einem stolzen Fuchs reiten.“ Als der Tag kam, sprengte der Jüngling heran, stellte sich unter die Ritter und ward von niemand erkannt. Die Königstochter trat hervor und warf den Rittern einen goldenen Apfel zu, aber keiner fing ihn als er allein; aber sobald er ihn hatte, jagte er davon. Am zweiten Tag hatte ihn Eisenhans als weißen Ritter ausgerüstet und ihm einen Schimmel gegeben. Abermals fing er allein den Apfel, verweilte aber keinen Augenblick, sondern jagte damit fort. Der König war bös und sprach: „Das ist nicht erlaubt, er muss vor mir erscheinen und seinen Namen nennen.“ Er gab den Befehl, wenn der Ritter, der den Apfel gefangen habe, sich wieder davonmachte, so sollte man ihm nachsetzen, und wenn er nicht gutwillig zurückkehrte, auf ihn hauen und stechen. Am dritten Tag erhielt er vom Eisenhans eine schwarze Rüstung und einen Rappen und fing auch wieder den Apfel. Als er aber damit fortjagte, verfolgten ihn die Leute des Königs, und einer kam ihm so nahe, dass er mit der Spitze des Schwertes ihm das Bein verwundete. Er entkam ihnen jedoch; aber sein Pferd sprang so gewaltig, dass der Helm ihm vom Kopf fiel, und sie konnten sehen, dass er goldene Haare hatte. Sie ritten zurück und meldeten dem König alles.

Am andern Tag fragte die Königstochter den Gärtner nach seinem Jungen. „Er arbeitet im Garten; der wunderliche Kauz ist auch bei dem Fest gewesen und erst gestern Abend wiedergekommen; er hat auch meinen Kindern drei goldene Äpfel gezeigt, die er gewonnen hat.“ Der König liess ihn vor sich fordern, und er erschien und hatte wieder sein Hütchen auf dem Kopf. Aber die Königstochter ging auf ihn zu und nahm es ihm ab, und da fielen seine goldenen Haare über die Schultern, und es war so schön, das alle erstaunten. „Bist du der Ritter gewesen, der jeden Tag zu dem Fest gekommen ist, immer in einer andern Farbe, und der die drei goldenen Äpfel gefangen hat?“ fragte der König. „Ja,“ antwortete er, „und da sind die Äpfel,“ holte sie aus seiner Tasche und reichte sie dem König. „Wenn Ihr noch mehr Beweise verlangt, so könnt Ihr die Wunde sehen, die mir Eure Leute geschlagen haben, als sie mich verfolgten. Aber ich bin auch der Ritter, der Euch zum Sieg über die Feinde verholfen hat.“ – „Wenn du solche Taten verrichten kannst, so bist du kein Gärtnerjunge. Sage mir, wer ist dein Vater?“ – „Mein Vater ist ein mächtiger König, und Goldes habe ich die Fülle und soviel ich nur verlange.“ – „Ich sehe wohl,“ sprach der König, „ich bin dir Dank schuldig, kann ich dir etwas zu Gefallen tun?“ – „Ja,“ antwortete er, „das könnt Ihr wohl, gebt mir Eure Tochter zur Frau.“ Da lachte die Jungfrau und sprach: „Der macht keine Umstände! Aber ich habe schon an seinen goldenen Haaren gesehen, dass er kein Gärtnerjunge ist,“ ging dann hin und küsste ihn. Zu der Vermählung kam sein Vater und seine Mutter und waren in grosser Freude, denn sie hatten schon alle Hoffnung aufgegeben, ihren lieben Sohn wiederzusehen. Und als sie an der Hochzeitstafel saßen, da schwieg auf einmal die Musik, die Türen gingen auf, und ein stolzer König trat herein mit großem Gefolge. Er ging auf den Jüngling zu, umarmte ihn und sprach: „Ich bin der Eisenhans und war in einen wilden Mann verwünscht, aber du hast mich erlöst. Alle Schätze, die ich besitze, die sollen dein Eigentum sein.

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Vater Sein #2

Kinder können so brutal und erbarmungslos zueinander sein

Manchmal zerreisst es mir fast das Herz, wie sie miteinander umgehen. Und gleichzeitig möchte ich sie dabei begleiten, zu selbständigen, selbstverantwortlichen und selbstwirksamen Menschen heranzuwachsen.

Deshalb weiss ich: Je weniger ich ich in ihre Konflikte eingreife, desto mehr Möglichkeiten haben sie, den Umgang mit Meinungsverschiedenheiten zu üben und an diesen Konflikten zu wachsen.Denn wenn ich ehrlich bin, ist es meistens nur schlimm für mich und es stört mein Bedürfnis nach Harmonie. Sie streiten sich kurz und gleich danach spielen sie wieder in Einklang.

Seit ich meinen Kindern die volle Verantwortung für ihre Konflikte übergebe und mich so wenig wie möglich einmische, habe ich das Gefühl, dass sich viele Situationen relativ schnell entspannen. Ich bin zwar präsent und halte die Situation aus, ich biete Beratung an, involviere mich aber nicht. Oft lösen sie die Herausforderung dann selbst – gemeinsam.

Mit einer Ausnahme: Wenn ich ein Risiko von ernsthaften Verletzungen sehe durch spitze Gegenstände oder gefährliche Handlungen wie würgen, dann greife ich ein. Warum? Weil die Sicherheit von meinen Kindern (noch) meine Verantwortung ist und ich diese klar wahrnehme.

Was ich auch oft mache, ist ihnen ihre Situation zu spiegeln, sofern offene Ohren da sind. Ich zeige ihnen auf, wohin die aktuelle Dynamik führen wird (Verletzungen, Schmerz, Weinen auf beiden Seiten) und zeige auf, dass es ihrer beider Entscheidung ist, ob sie diesen Weg weitergehen oder aus der Dynamik aussteigen wollen. Manchmal hilft ihnen das.

Wenn klar ist, dass der Konflikt ausgetragen werden muss, biete ich ihnen an, dies mit klaren Regeln zu tun. Beide gehen ins Bett, stehen sich auf den Knien gegenüber und versuchen, den anderen auf den Rücken zu legen. Ohne Beissen, Kratzen und Schlagen – das sind die Regeln. Vor allem bei Jungs kann das sehr hilfreich sein. Das führt manchmal auch dazu, dass sie den Konflikt schon vorher sein lassen oder wir plötzlich zu dritt spasskämpfen und lachen.

Wie gehst Du mit den Konflikten deiner Kinder um und welche Rolle nimmst Du dabei ein? Kannst Du dich rausnehmen aus der Situation und einfach für sie da sein? Welche Strategien hast Du entwickelt?

Unter anderem über dieses Thema werden wir am Workshop „Vater sein“ am 13. August sprechen, bewährte Vorgehensweisen miteinander beleuchten und dabei auch uns selbst als Vater noch besser kennenlernen. Ich freue mich auf Dich.

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Vater Sein #1

Zur väterlichen Präsenz

Heute morgen war ich relativ früh wach und mir wurde schnell bewusst, wie viele Dinge es zu tun gibt. Gerade, als ich in den Arbeitsmodus kam, wurde mein älterer Sohn wach und sagte mir, er wolle mit mir spielen. Das passte mir gar nicht in meinen soeben zurechtgelegten Tagesplan. Gleichzeitig sah ich sein Bedürfnis. Obwohl ich viel Zeit mit den Kindern verbringe, gibt es wenige Momente, in welchen „der Kleine“ nicht da ist und ich mich „dem Grossen“ voll und ganz widmen kann.

Ich entschied mich, diesen Moment mit ihm zu verbringen und „meinen Plan“ loszulassen. Als wir unser Projekt fertiggestellt hatten, erklärte ich ihm, dass ich mich nun auf die Erledigungen konzentrieren werde und er alleine weiterspielen würde. Nun ist er am Spielen, wirkt zufrieden und genährt. Es war nur eine halbe Stunde, aber in dieser halben Stunde war ich vollständig präsent.

Wir sind eine Generation von Söhnen mit oft abwesenden oder übergriffigen Vätern, die uns lieben und ihr Bestes gegeben haben. Und wir versuchen neue Wege zu gehen.Wir möchten gerne präsent sein, verfügbar und klar. Das Kind seinen Weg gehen lassen, und dass es gleichzeitig den Rückhalt spürt.

In der Realität sind wir oft überfordert von all den Anforderungen, die wir an uns selbst stellen und an uns gestellt werden. Nicht selten kommt dann ein schlechtes Gewissen. Damit geraten wir in eine Schuld-Teufelsspirale, die für niemanden förderlich ist.

Seit ich weiss, dass für das Kind die Qualität der Verbindung viel wichtiger ist als die Quantität, verspüre ich mehr Leichtigkeit im Umgang mit meinen Kindern. Und ich habe das Gefühl, dass es auch ihnen besser geht seither.

Im Alltag bedeutet dies, dass ich klare Entscheidungen fälle: Entweder ich bin gerade mit dem Kind, und dann in voller Hingabe. Oder aber ich bin es nicht, und auch das ist eine klare Entscheidung, die ich meinen Kindern so kommuniziere. Eine halbe Stunde präsent zu sein ist für das Kind und auch für Dich als Vater wertvoller, als ein ganzer Tag halbherzige Präsenz.

Wenn Du tiefer in dieses Thema des Vater Seins eintauchen möchtest, Dich mit anderen Vätern austauschen und praktische Orientierung für Deinen Alltag als Vater erhalten möchtest, dann lade ich Dich herzlich ein zum Workshop „Vater Sein“ am 13. August.

Ich wünsche Dir einen schönen Tag als klarer, präsenter Vater.

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